Ziegel können viel erzählen

Leicht ist die Elbestraße in Osthofen nicht zu finden, doch wer die ungefähre Richtung kennt und im Wohnviertel ein wenig Umschau hält, kann sich an den schiefergedeckten Besonderheiten der Gegend zum Haus Herd in der Elbestraße Nr. 3 gut orientieren. Da ein Schiefertürmchen, dort ein schiefergedecktes Vogelhäuschen, und dann steht man auch bald im Garten des Herd’schen Hauses, wo Wilhelm, der Senior, in mehreren niederen Räumen seiner Anbauten etwas eingerichtet hat, was wohl weit und breit seinesgleichen nicht hat. Ein Museum des Dachdeckerhandwerks erwartet den erstaunten Besucher. Was da alles zusammengetragen ist, kann sich sehen lassen. Selbst der Innungsobermeister Karl-Heinz Stein ist erneut fasziniert; Neues ist dazugekommen. “Ich schicke Ihnen, Kollege Herd, demnächst meine Auszubildenden, die können sich dann mal einen Eindruck von Geschichte und Vielfalt unseres alten-jungen Handwerks machen …”.

Wilhelm
HERD

Wilhelm Herd, Lob bescheiden abwehrend, kommt dann doch ins Erzählen. Eng ist es, doch man kommt schwer los von den dicht an dicht liegenden und stehenden, jeden Quadratzentimeter des Bodens, der Wände, ja der Decke ausfüllenden Ziegel, Schieferteile, Blitzableiterhauben, von Schrot der Taubenschützen durchlöchert und von Werkzeugen in einer Vielfalt, die Geschichte und Geschichtchen herausfordert. Und Wilhelm Herd weiß von allem und zu allem etwas zu sagen. Stolz klingt durch und die Freude, das ist zu spüren, die Freude am Handwerk, für das er ein langes Berufsleben tätig war.

Unter dem Spruch an der Wand: “Bei uns schafft man nicht vom Band, man arbeitet mit der Hand”, sind die Ziegel aufgereiht, die 1730 vom Pfarrhaus Gundesheim oder, noch 10 Jahre älter, aus Osthofen stammen. Herkunft, Jahr und Fingerzeichen – vieles noch lesbar. Er erklärt die Sonnenzeichen auf dem Material. “Ziegel haben Geschichte, können viel erzählen …”, sagt der Sammler und man glaubt ihm das gerne. Handgeschmiedete Nägel wecken Bewunderung , die Schieferwaage und der Schieferhammer nicht minder. Ins Schwärmen geradezu kommt Wilhelm Herd, wenn er zum Thema Schiefer aus den Arbeiten  mit dem edlen, teueren, aber unvergleich schönen Material berichtet, Platten oder Blättern spaltbaren Gesteins, das seine Schönheit über viele Jahrhunderte gerettet hat. Gottlob ist es immer noch gefragt.

Wilhelm Herd ist aus dem aktiven Berufsleben ausgeschieden. Der Sohn leitet das Geschäft in der Neißestraße. Aber die Sammlerfreude, mit der schon der Lehrling begonnen hat, ist geblieben .Vieles, was da liegt, ist einfach “abgefallen”, anderes hat er erfragt und gefunden, manches gerettet und vor dem Vergessen bewahrt. Ein Kapitel nimmt zum Wiederaufbau in den schweren Nachkriegsjahren, die Zeit der Improvisation, Stellung. Und der Gesprächspartner Herd läßt noch einmal die Zeit der vierziger und fünfziger Jahre erstehen, als man in der Wormser Innenstadt so gut wie keine intakten Dächer von öffentlichen Gebäuden oder Wohnbauten mehr vorfand. Von den durch Materialmangel geprägten Maßnahmen zur Sicherung des noch Verwendbaren. Erneuerungsarbeiten auf dem arg mitgenommenen Domdach gehören in diese Zeit. Arbeitsgemeinschaften waren gebildet worden.

Bis weit nach Rheinhessen hinein war Wilhelm Herd mit seinen Männern unterwegs. Und immer wieder aufmerksam, um Seltenes, Ausgefallenes und für die Sammlung Wertvolles mitzubringen nach Osthofen, wo sich heute das zeigen läßt, was der mit der Kammermünze ausgezeichnete Dachdecker für seinen Berufsstand zusammengetragen und für nachfolgende Generationen bewahrt hat. Die Räume in der Elbestraße 3 lassen in der Enge eine bessere Präsentation nicht zu. Schade, denn so beeindruckend wie die Fülle des gebotenen ist, die Herd’sche Sammlung hätte wahrlich eine bessere Darstellung verdient.